Virtual Reality: Gekommen um zu bleiben?

15.2.2017 - Adrian Oggenfuss

Mit Google, Face­book, Sony und HTC sind grosse Namen im Bereich von Virtual Reality anzu­treffen. Sind sie nur da, um die Gele­gen­heit nicht zu verpassen oder ist VR die nächste grosse Inno­va­tion?

Virtual Reality: Gekommen um zu bleiben? teaser

In meinem letzten Blog­bei­trag bin ich auf das Thema “Augmented Reality” (AR) einge­gangen und zum Schluss gekommen, dass sich AR-​Anwendungen noch nicht nach­haltig etabliert haben. Gemäss Google Trends ist der Begriff “Virtual Reality” (VR) deut­lich weiter verbreitet und dies trotz der welt­weiten Aufmerk­sam­keit die AR durch die App Pokémon GO erhalten hat. Die Lancie­rung der App (im Sommer 2016) hatte jedoch einen merk­li­chen Effekt auf die Verbrei­tung des Begriffs “Augmented Reality”, wie durch den Spike in der blauen Linie gut zu erkennen ist.

Google Keyword Interesse VR

Google Trends: Vergleich der Such-​Häufigkeit nach den Begriffen “Augmented Reality”, “Virtual Reality” und “Mixed Reality”

Gemäss dem Hype Cycle 2016 von Gartner ist VR einen Schritt weiter als AR und hat die Talsohle bereits durch­schritten - sprich die Tech­no­logie befindet sich auf dem “Pfad der Erleuch­tung”. “Mixed Reality” (die gelbe Linie) ist hingegen im Vergleich noch prak­tisch unbe­kannt. Wie im letzten Beitrag möchte ich heraus­finden, ob die Posi­tio­nie­rung im Hype Cycle der aktu­ellen Realität (sorry für das Wort­spiel) entspricht.

Zum Einstieg möchte ich noch einmal die Defi­ni­tion von VR wieder­holen: “VR ist eine compu­ter­ge­nerierte, drei­di­men­sio­nale Welt, die versucht, der Realität möglichst nahe zu kommen.”

Aktuell sind auf dem Markt Geräte von verschie­denen Herstel­lern erhält­lich. Die bekann­testen sind Oculus Rift (aufge­kauft von Face­book), HTC Vive und die vor Kurzem lancierte Play­sta­tion VR. Daneben gibt es güns­ti­gere Geräte, in welche das Smart­phone als Screen einge­setzt wird. So zB. Google Card­board bzw. die etwas hoch­wer­ti­gere Google Daydream oder die Gear VR von Samsung. Während sich letz­tere im Preis­rahmen von 10 bis 50 CHF als güns­tige Einstiegs­ge­räte eignen, ist für die erst­ge­nannten Geräte eine Inves­ti­tion von 500 bis 1000 CHF zu tätigen. Dafür ist auch die Qualität dementspre­chend auf einem anderen Stan­dard.

VR Typen im Vergleich

Google Trends: Vergleich der Such-​Häufigkeit nach den einzelnen VR-​Devices. Nach einem kurzen Spike bei Oculus Rift und Play­sta­tion VR stossen die Devices auf ein ähnli­ches Interesse-​Level.

Neben der Verfüg­bar­keit von guten Inhalten ist denn die Qualität auch entschei­dend dafür verant­wort­lich ob sich VR durch­setzen wird. Qualität bedeutet im Zusam­men­hang mit VR, dass die Virtu­elle Realität so gut ist, dass sie unser Gehirn auszu­tricksen vermag. Dh. die Darstel­lung möglichst glaub­würdig und möglichst wenig von der gewohnten Wahr­neh­mung in der “echten” Realität abweicht. Um dies zu errei­chen sind verschie­dene Faktoren zu ausschlag­ge­bend:

  • Die Auflö­sung des Displays muss eine gewisse Pixel­dichte auflösen, so dass wir einzelne Pixel nicht mehr als solche wahr­nehmen können.

  • Die Reak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit auf Bewe­gungen (zB. Drehen des Kopfes oder Bewegen mit dem Controller) muss schnell genug sein. Dafür braucht genü­gend Rechen­power. Deshalb sind die Devices über ein Kabel mit einem leis­tungs­starken Computer verbunden. Die Inte­gra­tion von genü­gend Leis­tung direkt im Headset ist momentan noch zu schwer oder zu teuer.

  • Das eben erwähnte Kabel kann sich denn auch bei Bewe­gungen als Ablen­kung präsen­tieren, in dem der Nutzer in seinem virtu­ellen Erlebnis gestört wird.

  • Töne: Wenn wir den Kopf drehen sollte sich auch die Rich­tung, aus welche eine Tonquelle wahr­ge­nommen wird, verän­dern. Dies ist auf der Program­mier­seite umsetzbar, ist aber mit einem entspre­chenden Aufwand verbunden.

  • Peri­pheres Sehen: Unser äusseres, peri­pheres Sehfeld wird auf ca. 200-220° geschätzt. Mit den Screens der aktuell auf dem Markt verfüg­baren VR Brillen werden jedoch “ledig­lich” ca. 110° des Sehfeldes abge­deckt. Die fehlende Abbil­dung bzw. Wahr­neh­mung der Peri­pherie mindert das Reali­täts­er­lebnis.

Zudem gibt es das Phänomen der “VR Krank­heit”, eine Form von Übel­keit, die mit dem Eintau­chen in eine compu­ter­ge­nerierte Umge­bung auftreten kann. Es wird vermutet, dass diese dann entsteht, wenn die visu­elle Wahr­neh­mung von unserer körper­li­chen Erfah­rung abwei­chen. Wenn wir uns in der virtu­ellen Realität auf einer Achter­bahn befinden, in der realen Welt jedoch auf einem Stuhl sitzen, und somit auch die Kräfte der Achter­bahn nicht auf unseren Körper wirken, reagiert dieser mit einer physi­schen Abwehr­hal­tung. Der Effekt tritt jedoch nicht bei allen Personen (gleich stark) auf. Zudem ist noch unbe­kannt, ob wir uns durch eine regel­mäs­sige Nutzung an die Diffe­renz gewöhnen können und so der Effekt nicht mehr auftritt.

Wie sieht es nun aber aus mit dem effek­tiven Einsatz der Geräte? Gibt es bereits Bereiche in denen sie sich etabliert haben? Und ist VR wirk­lich gekommen, um zu bleiben? Dazu habe ich recher­chiert, in welchen Berei­chen VR zum heutigen Zeit­punkt zur Anwen­dung kommt.

Enter­tain­ment:
Wie bei vielen neuen Tech­no­lo­gien sind die Gaming- und Unter­hal­tungs­in­dus­trie oft am Start­punkt der neuen Möglich­keiten. So auch im Falle von VR. Über die Game Platt­form “Steam” von Valve sind VR Inhalte für die HTC Vive und Oculus Rift verfügbar. Zudem verfügt Oculus über einen eigenen Store über den Inhalte vertrieben werden. Daneben gibt es diverse 360° Videos, unter anderem auch über Youtube.

In Zürich hat vor kurzem das erste VR Lab (Red or Blue Virtual Reality Lab) die Tore geöffnet. Die Betreiber rechnen in erster Linie mit Gästen, die von den neuen tech­no­lo­gi­schen Möglich­keiten faszi­niert sind, sich selber aber (noch) kein solches Gerät leisten wollten oder konnten.

Einschät­zung:2016 wurden geschätzte 6.3 MillionenVR Geräte verkauft, auch wenn die Hersteller keine offi­zi­ellen Zahlen heraus­geben. Zum Vergleich: Apple hat im Release Jahr 2015 der Apple Watch rund 9 Millionen Uhren (eben­falls eine Schät­zung) verkauft. An den Zahlen gemessen ist also VR noch nicht in der breiten Masse ange­kommen, sondern ist eher bei den Early Adop­tern und Tech Fans im Einsatz.

Simu­la­tionen:
Das Ziel des Schweizer Star­tups Birdly ist es dem Traum vom Fliegen möglichst nahe zu kommen. Dafür haben sie eine Simu­la­tion entwi­ckelt in welcher man, durch das Tragen der VR Brille, hoch in der Luft über unsere Lieb­lings­stadt versetzt wird und über diese hinweg­fliegen kann. Dabei haben es die Erfinder aber nicht belassen. Um der Realität noch näher zu kommen liegt man auf einem Gerät und steuert den Flug mit den Armen, die als Flügel dienen. Ein Venti­lator bläst einem Wind ins Gesicht, der je nach Flug­ge­schwin­dig­keit stärker oder schwä­cher ist.

Einschät­zung:
Das Startup hat schon inter­na­tio­nale Aufmerk­sam­keit erhalten. Ich denke, dass sich solche reali­täts­nahen Simu­la­tionen im Enter­tain­ment bereich in Zukunft etablieren werden. Daneben ist das Poten­tial von Simu­la­tionen im produk­tiven Bereich eben­falls als gross einzu­schätzen. So können etwa Piloten in virtu­eller Umge­bung die Flug­zeug­be­die­nung üben. Für Ärzte besteht die Chance, riskante Eingriffe digital zu simu­lieren. Archi­tekten und Städ­te­planer können damit begeh­bare Entwürfe erstellen. Ein weiteres Anwen­dungs­bei­spiel ist die Besich­ti­gung von touris­ti­schen Sehens­wür­dig­keiten, ohne vor Ort zu sein._

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Medizin:
Das wert­vollste Startup der Schweiz Mind­Maze, mit einer Bewer­tung von über 1 Milli­arde Franken, nutzt VR für die Therapie von Hirnschlag-​Patienten. Die Mindmaze-​Technologie ermög­licht es nun, dass der Patient beispiels­weise eine Bewe­gung auf seiner gesunden Seite übt – dass ihm das Bild dazu über die VR Brille ange­zeigt wird, als ob die gelähmte Seite diese Bewe­gung voll­führe. Dadurch kann der Heilungs­pro­zess unter­stützt werden.

Einschät­zung:
Ob Mind­maze den Anspruch auf den Milli­ar­den­wert und die damit verbun­denen hohen Erwar­tungen recht­fer­tigt wird sich zeigen müssen. Der Bedarf für alter­na­tive bzw. Neue Behand­lungs­formen in der Medizin ist jedoch defi­nitiv vorhanden. _

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Tourismus:
Die Rigi Bahnen wollen mit VR dem Nebel trotzen. So könnten Touristen bei der Anfahrt mit dem Zug, oder der auf der Aussichts­platt­form, mittels einer VR Brille trotzdem das Berg­pan­orama geniessen. Das Projekt ist aber noch in Entwick­lung, ein erster Pilot ist für den Sommer 2017 vorge­sehen.

Bereits im Einsatz ist VR beim Reise­an­bieter Hotel­plan. Verschie­dene Filialen bieten die Möglich­keit die Feri­en­ziele bereits vor der Buchung auszu­kund­schaften und sich so ein besseres Bild von der Ziel­de­sti­na­tion oder dem Hotel­zimmer zu machen. Das Projekt ist momentan in der Pilot­phase. Wenn die Erfah­rungen positiv ausfallen will Hotel­plan sämt­liche 120 Filialen mit VR Brillen ausstatten.

Bei einer Umfrage von 20 Minuten, ob die Reise-​Beratung mit einer VR-​Brille als nütz­lich empfunden wird, haben sich rund 75% der Antwor­tenden positiv geäus­sert.

Einschät­zung:Im Tourismus dürfte sich VR bereits früher als in anderen Berei­chen durch­setzen. Einer­seits ist der Druck hoch sich mit neuen Ange­boten und Inno­va­tionen zu posi­tio­nieren, ande­rer­seits besteht auch die Möglich­keit zu expe­ri­men­tieren, da VR als Ergän­zung zu einem bereits bestehenden Angebot einge­setzt wird. _

Kunst:
Mit der Anwen­dung “Google Tilt­brush” kann ein Kunst­werk 3D in den Raum gezeichnet werden. Als virtu­eller Pinsel dienen die Hand­con­troller. Seit kurzem können die erschaf­fenen Werke auch aus dem Programm expor­tiert und so weiter verwendet werden. Dies ist zB. Für Game Entwickler eine span­nende Möglich­keit. Um die Anwen­dung besser kennen­zu­lernen lohnt es sich folgenden Video von Google anzu­sehen.

Einschät­zung:
Google Tilt­brush gilt momentan als eine der Anwen­dungen, die VR am besten zur Geltung bringen. Neben der hohen Qualität der Umset­zung ist sicher­lich auch das direkte Feed­back des Zeichnen ausschlag­ge­bend. Das Zeichnen ist eine intui­tive Bewe­gung und der Anwender sieht das Resultat direkt und nach­voll­ziehbar vor sich. Da viele Künstler expe­ri­men­tier­freudig sind, dürfte die Anwen­dung zumin­dest von vielen auspro­biert werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass virtu­elle 3D-Kunst eine Zukunft hat. _

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Ausbil­dung:
VR kann auch zur Vermitt­lung von Lern­in­halten eine geeig­nete Platt­form sein. Das Startup Woof­bert hat die Vision alle Museen und Kunst­samm­lungen welt­weit mit VR zugäng­lich zu machen. Auch Google ist bereits mit dem eigenen Angebot “Google Expe­di­tions” für Lehr­per­sonen bzw. Schulen aufge­stellt. In einer virtu­ellen Schul­reise kann so zB der Mars erkundet, Machu Picchu besucht oder ein Tauch­gang im Great Barrier Reef unter­nommen werden.

Einschät­zung:
Neben der Möglich­keit E-​Learning Ange­bote reali­täts­näher als inten­si­veres Erlebnis anzu­bieten kann auch dem Einsatz in klas­si­schen Unter­richts Setting sinn­voll sein. So hat die Lehr­person die Möglich­keit punk­tuell Abwechs­lung in den Unter­richt zu bringen und Lern­in­halte auf eine andere Art und Weise einfliessen zu lassen. _

Wie steht es nun um den aktu­ellen Stand von VR und die Zukunfts­aus­sichten? Ist die Posi­tio­nie­rung auf dem Hype Cycle von Gartner akkurat? Meiner Meinung nach ja. Meine Recherche über AR und VR hat gezeigt, dass VR bezüg­lich Verbrei­tung und der Verfüg­bar­keit von kommer­zi­ellen Anwen­dungen bereits einen Schritt weiter ist als AR. Zudem stimme ich mit der Einschät­zung überein, dass VR das Tal der Enttäu­schungen durch­schritten hat. Die Verkaufs­zahlen der Devices bewegen sich noch in einem beschei­denen Rahmen. Die Stei­ge­rung der Qualität, sowohl der Geräte, wie auch der verfüg­baren Inhalte, lassen jedoch einen grossen Spiel­raum nach oben.

Die Qualität der aktuell verfüg­baren Geräte wird das Thema des nächsten Blog­bei­trags sein. Ich habe die verschie­denen Devices getestet und werde meine Erfah­rungen dazu teilen.

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