Opfer­ber­gung im Zeit­alter des iPhones

21.2.2022 - Michael Burgdorfer

Opferbergung VOSA

Menschen­leben in Kata­stro­phen­si­tua­tionen zu retten ist auch für Retter ein grosses Risiko. Rettungs­kräfte der Armee und der Feuer­wehr setzten nicht selten ihr eigenes Leben aufs Spiel um andere Menschen zu Helfen - das ganz selbst­ver­ständ­lich. Können wir mit dem heutigen Stand der Technik Rettungs­ein­heiten besser ausrüsten und so Opfer schneller und sicherer Bergen?

Geschützt durch die Alpen hat die Schweiz keine schweren Erdbeben, Taifune oder Tornados zu befürchten. Tsunamis oder Vulkan­aus­brüche sind nicht möglich und die politi-​sche Stabi­lität garan­tiert uns Frieden. Dennoch kommt es vor das Umwelt­ka­ta­stro­phen passieren. Die Bilder aus Gondo im Jahr 2000 bleiben uns dabei stark in Erin­ne­rung: Mit der aktu­ellen Klima­krise mehr denn je.

Das Swiss Robo­tics Center der arma­suisse hat sich dem Thema ange­nommen und entwi-​ckelt mit der ETH einen Roboter, der in der Lage ist, tief in einen Trüm­mer­haufen vorzu-​dringen. Projekt­leiter Sebas­tian Bächler und die Smoca AG haben in Zusam­men­ar­beit mit der arma­suisse dafür innert kürzester Zeit einen Proto­typen für die Sensorik eines solchen Robo­ters entwi­ckelt, welche vorwie­gend aus handels­üb­li­chen Kompo­nenten aufge­baut und an der Inte­gra­ti­ons­woche ARCHE (Advanced Robotic Capa­bi­li­ties for Hazar­dous Envi­ron­ments) in Wangen an der Aare erfolg­reich dem Publikum vorge­stellt werden konnte. Das Resultat war so über­zeu­gend, dass aus dem Sensor­kopf nun ein eigen­stän­diges Projekt entstanden ist.

Auch vor mensch­li­chen Fehler können wir uns nicht schützen. So geschah es, dass am 27. November 2004 eine Tief­ga­rage in Gret­zen­bach aufgrund eines Statik Fehlers und einer zu hohen Erdüber­schüt­tung in sich zusam­men­stürzte. Die Decke begrub mehrere Feuer­wehr­männer, die gerade dabei waren, einen Fahr­zeug­brand zu löschen. 7 Personen kamen bei dem Unglück ums Leben und dieses gilt zudem als das grösste Feuer­wehr­un­glück in der Geschichte der Schweiz.

Die Proble­matik der derzei­tige Opfer­ber­gung

Rettungs­hunde sind uner­läss­lich und schon seit jeher zuver­läs­sige Begleiter bei der Bergung von Verschüt­tungs­opfer. Rettungs­hunde müssen aber lange ausge­bildet werden und können nicht über längere Zeit im Einsatz bleiben. Und sie können unter Umständen auch nicht schnell genug zur Unfall­stelle gebracht werden. Die Rettungs­truppe der Schweizer Armee verwendet deshalb zur Unter­stüt­zung auch ein Gerät, welches aus einer langen Lanze mit Kamera besteht, um damit in die Schutt­haufen "sehen" zu können, wo kein Zugang möglich ist. Dieser Sondier­stab sendet die Aufnahmen via Kabel an einen dazu­ge­hö­rigen Display­koffer. Im Kopf der Stange befindet sich nebst der Kamera ein Mikrofon und eine Lampe. Das Systems ist schon etwas in die Jahre gekommen und entspricht kaum mehr den heutigen Stan­dards. Die schlechte Video­qua­lität und die daraus resul­tie­rende Desori­en­tie­rung bei der Benut­zung während dem Feld­ein­satz sind deren Haupt­mängel. Entspre­chend müssen die Rettungs­sol­daten aufwändig geschult und ausge­bildet werden.

Die Lösung: 3D-​Mapping und eine iPhone Kamera

VOSA Gerät Die Lösung ist sowohl simpel wie auch genial. Die rasante Entwick­lung der Smart­phones in den letzten Jahren bietet uns eine opti­male Platt­form für die Lösung oben genannter Probleme: Eine HD-​Kamera, Mapping und Posi­tio­nie­rung, Licht, Mikrofon und Laut­spre­cher, Netzwerk-​Kommunikation – ist alles bereits verbaut und einsatz­be­reit. Nehmen wir also ein iPhone und befes­tigen es am Ende eine Besen­stiels! Streamen wir jetzt noch das Live-​Bild an ein iPad, so können wir das derzeitig im Einsatz stehende Gerät bereits ersetzen.

Nun, natür­lich steckt schon etwas mehr dahinter! Eine simple Video­über­tra­gung genügt uns an dieser Stelle schon lange nicht mehr. Und auch der Besen ist etwas ausge­reifter. Unser Ziel ist es ja, das bestehende System zu verbes­sern. Das Zauber­wort dabei heisst Augmented-​Reality.

Dank der rasanten Entwick­lungen im Bereich AR ist die neueste Gene­ra­tion des iPhones nicht nur in der Lage hoch­auf­lö­sende Videos zu über­tragen, sondern kann auch eine komplette 3D-Welt in Echt­zeit einscannen. Die einge­baute Kamera liefert uns zu diesem Zweck Tiefen­daten, welche selbst in kompletter Fins­ternis aufge­nommen werden können. Wenn man nun auch noch die Bewegungs-​, Beschleunigungs-​ und Kompass­daten mitein­kal­ku­liert, erhält man ein sehr akku­rates Abbild der Umge­bung in Form einer Point­cloud. Rechnet man diese in ein Draht­git­ter­mo­dell um, erhält man eine komplette 3D-Szene des Unfall­ortes oder Trüm­mer­hau­fens wie man sie auch aus Games kennt. Das Ganze passiert innert wenigen Milli­se­kunden und die ganze Technik passt in eine Hand­fläche. Und als Bonus: die Hard­ware ist überall verfügbar und kostet weniger als vergleich­bare Opfer-​Ortungssysteme.

Unsere Heraus­for­de­rung

Es stellten sich auf der Seite der SW-​Entwicklung des Proto­typen vor allem folgende Heraus­for­de­rungen heraus:

  • Wie können wir nebst dem HD-​Videostream auch die 3D-Daten perfor­mant und verlust­frei an das Tablet senden?

  • Wie soll das User­inter­face aufge­baut sein, damit die Orien­tie­rung und Bedien­bar­keit möglichst einfach ist?

  • Welche Auswir­kungen haben äussere Umge­bungs­ein­flüsse wie Staub, Feuch­tig­keit, Tempe­ratur, schäd­liche Gase oder Rauch?

  • Ist das Gerät kompakt und robust genug, um zuver­lässig in solch schwie­rigen Verhält­nissen zu funk­tio­nieren?

  • Gibt es auch vergleich­bare Lösungen ausser­halb Apples Ökosys­tems?

Jeder einzelne dieser Punkte wäre einen eigenen Blog­post wert - aber dies zu einem späteren Zeit­punkt. Spoiler Alarm: Mit unserem Proto­typen konnten wir viele dieser Problem­stellen bereits lösen. Es sind jedoch noch weitere Entwick­lungs­zy­klen nötig um alle Punkte befrie­di­gend abde­cken zu können.

Unsere Vision

Schnell entstanden weitere Ideen und Möglich­keiten wie wir das System verbes­sern können. Mit dem bestehenden Proto­typen konnten wir eine einfache AR-​Applikation entwi­ckeln. Kann das iPad nämlich die Distanz, Posi­tio­nie­rung und Rota­tion zum scan­nenden iPhone korrekt ermit­telt und abglei­chen (wenn sie sich dasselbe Koor­di­na­ten­system teilen), kann das 3D-​Modell auf das Kame­ra­bild des Tablets hinein proji­ziert werden. So können die Rettungs­kräfte das Tablet wie ein «Rönt­gen­gerät» benutzen und so durch den Trüm­mer­haufen hindurch­sehen, ohne dass sie sich selbst in Gefahr begeben müssen.

Spinnen wir die Idee noch weiter, rüstet man nun mehrere Einsatz­kräfte mit dem System aus - beispiels­weise in Form einer Bodycam - kann das 3D-​Modell in Echt­zeit von mehreren iPhones gleich­zeitig aufge­baut werden. Je mehr Daten zusam­men­kommen, desto detail­lierter wird die Szene. Nun kann dem Einsatz­leiter via WLAN ein genaues Bild der Unfall­stelle zur Verfü­gung gestellt werden. Man könnte Markie­rungen setzten, Distanzen ausmessen oder Zugangs­boh­rungen ermit­teln, Befehle an Retter erteilen und müsste dabei nicht mal vor Ort sein.

Stellt man sich jetzt noch vor, dass das System in Form einer AR-​Brille funk­tio­niert, dann ist man von Science-​Fiction wie aus Film und TV nicht mehr weit entfernt.

Kontakt

Smoca AG
Tech­no­park­strasse 2
Gebäude A, 3. Stock
8406 Winter­thur

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