Opferbergung im Zeitalter des iPhones
Menschenleben in Katastrophensituationen zu retten ist auch für Retter ein grosses Risiko. Rettungskräfte der Armee und der Feuerwehr setzten nicht selten ihr eigenes Leben aufs Spiel um andere Menschen zu Helfen - das ganz selbstverständlich. Können wir mit dem heutigen Stand der Technik Rettungseinheiten besser ausrüsten und so Opfer schneller und sicherer Bergen?
Geschützt durch die Alpen hat die Schweiz keine schweren Erdbeben, Taifune oder Tornados zu befürchten. Tsunamis oder Vulkanausbrüche sind nicht möglich und die politi-sche Stabilität garantiert uns Frieden. Dennoch kommt es vor das Umweltkatastrophen passieren. Die Bilder aus Gondo im Jahr 2000 bleiben uns dabei stark in Erinnerung: Mit der aktuellen Klimakrise mehr denn je.
Das Swiss Robotics Center der armasuisse hat sich dem Thema angenommen und entwi-ckelt mit der ETH einen Roboter, der in der Lage ist, tief in einen Trümmerhaufen vorzu-dringen. Projektleiter Sebastian Bächler und die Smoca AG haben in Zusammenarbeit mit der armasuisse dafür innert kürzester Zeit einen Prototypen für die Sensorik eines solchen Roboters entwickelt, welche vorwiegend aus handelsüblichen Komponenten aufgebaut und an der Integrationswoche ARCHE (Advanced Robotic Capabilities for Hazardous Environments) in Wangen an der Aare erfolgreich dem Publikum vorgestellt werden konnte. Das Resultat war so überzeugend, dass aus dem Sensorkopf nun ein eigenständiges Projekt entstanden ist.
Auch vor menschlichen Fehler können wir uns nicht schützen. So geschah es, dass am 27. November 2004 eine Tiefgarage in Gretzenbach aufgrund eines Statik Fehlers und einer zu hohen Erdüberschüttung in sich zusammenstürzte. Die Decke begrub mehrere Feuerwehrmänner, die gerade dabei waren, einen Fahrzeugbrand zu löschen. 7 Personen kamen bei dem Unglück ums Leben und dieses gilt zudem als das grösste Feuerwehrunglück in der Geschichte der Schweiz.
Die Problematik der derzeitige Opferbergung
Rettungshunde sind unerlässlich und schon seit jeher zuverlässige Begleiter bei der Bergung von Verschüttungsopfer. Rettungshunde müssen aber lange ausgebildet werden und können nicht über längere Zeit im Einsatz bleiben. Und sie können unter Umständen auch nicht schnell genug zur Unfallstelle gebracht werden. Die Rettungstruppe der Schweizer Armee verwendet deshalb zur Unterstützung auch ein Gerät, welches aus einer langen Lanze mit Kamera besteht, um damit in die Schutthaufen "sehen" zu können, wo kein Zugang möglich ist. Dieser Sondierstab sendet die Aufnahmen via Kabel an einen dazugehörigen Displaykoffer. Im Kopf der Stange befindet sich nebst der Kamera ein Mikrofon und eine Lampe. Das Systems ist schon etwas in die Jahre gekommen und entspricht kaum mehr den heutigen Standards. Die schlechte Videoqualität und die daraus resultierende Desorientierung bei der Benutzung während dem Feldeinsatz sind deren Hauptmängel. Entsprechend müssen die Rettungssoldaten aufwändig geschult und ausgebildet werden.
Die Lösung: 3D-Mapping und eine iPhone Kamera
Die Lösung ist sowohl simpel wie auch genial. Die rasante Entwicklung der Smartphones in den letzten Jahren bietet uns eine optimale Plattform für die Lösung oben genannter Probleme: Eine HD-Kamera, Mapping und Positionierung, Licht, Mikrofon und Lautsprecher, Netzwerk-Kommunikation – ist alles bereits verbaut und einsatzbereit. Nehmen wir also ein iPhone und befestigen es am Ende eine Besenstiels! Streamen wir jetzt noch das Live-Bild an ein iPad, so können wir das derzeitig im Einsatz stehende Gerät bereits ersetzen.
Nun, natürlich steckt schon etwas mehr dahinter! Eine simple Videoübertragung genügt uns an dieser Stelle schon lange nicht mehr. Und auch der Besen ist etwas ausgereifter. Unser Ziel ist es ja, das bestehende System zu verbessern. Das Zauberwort dabei heisst Augmented-Reality.
Dank der rasanten Entwicklungen im Bereich AR ist die neueste Generation des iPhones nicht nur in der Lage hochauflösende Videos zu übertragen, sondern kann auch eine komplette 3D-Welt in Echtzeit einscannen. Die eingebaute Kamera liefert uns zu diesem Zweck Tiefendaten, welche selbst in kompletter Finsternis aufgenommen werden können. Wenn man nun auch noch die Bewegungs-, Beschleunigungs- und Kompassdaten miteinkalkuliert, erhält man ein sehr akkurates Abbild der Umgebung in Form einer Pointcloud. Rechnet man diese in ein Drahtgittermodell um, erhält man eine komplette 3D-Szene des Unfallortes oder Trümmerhaufens wie man sie auch aus Games kennt. Das Ganze passiert innert wenigen Millisekunden und die ganze Technik passt in eine Handfläche. Und als Bonus: die Hardware ist überall verfügbar und kostet weniger als vergleichbare Opfer-Ortungssysteme.
Unsere Herausforderung
Es stellten sich auf der Seite der SW-Entwicklung des Prototypen vor allem folgende Herausforderungen heraus:
Wie können wir nebst dem HD-Videostream auch die 3D-Daten performant und verlustfrei an das Tablet senden?
Wie soll das Userinterface aufgebaut sein, damit die Orientierung und Bedienbarkeit möglichst einfach ist?
Welche Auswirkungen haben äussere Umgebungseinflüsse wie Staub, Feuchtigkeit, Temperatur, schädliche Gase oder Rauch?
Ist das Gerät kompakt und robust genug, um zuverlässig in solch schwierigen Verhältnissen zu funktionieren?
Gibt es auch vergleichbare Lösungen ausserhalb Apples Ökosystems?
Jeder einzelne dieser Punkte wäre einen eigenen Blogpost wert - aber dies zu einem späteren Zeitpunkt. Spoiler Alarm: Mit unserem Prototypen konnten wir viele dieser Problemstellen bereits lösen. Es sind jedoch noch weitere Entwicklungszyklen nötig um alle Punkte befriedigend abdecken zu können.
Unsere Vision
Schnell entstanden weitere Ideen und Möglichkeiten wie wir das System verbessern können. Mit dem bestehenden Prototypen konnten wir eine einfache AR-Applikation entwickeln. Kann das iPad nämlich die Distanz, Positionierung und Rotation zum scannenden iPhone korrekt ermittelt und abgleichen (wenn sie sich dasselbe Koordinatensystem teilen), kann das 3D-Modell auf das Kamerabild des Tablets hinein projiziert werden. So können die Rettungskräfte das Tablet wie ein «Röntgengerät» benutzen und so durch den Trümmerhaufen hindurchsehen, ohne dass sie sich selbst in Gefahr begeben müssen.
Spinnen wir die Idee noch weiter, rüstet man nun mehrere Einsatzkräfte mit dem System aus - beispielsweise in Form einer Bodycam - kann das 3D-Modell in Echtzeit von mehreren iPhones gleichzeitig aufgebaut werden. Je mehr Daten zusammenkommen, desto detaillierter wird die Szene. Nun kann dem Einsatzleiter via WLAN ein genaues Bild der Unfallstelle zur Verfügung gestellt werden. Man könnte Markierungen setzten, Distanzen ausmessen oder Zugangsbohrungen ermitteln, Befehle an Retter erteilen und müsste dabei nicht mal vor Ort sein.
Stellt man sich jetzt noch vor, dass das System in Form einer AR-Brille funktioniert, dann ist man von Science-Fiction wie aus Film und TV nicht mehr weit entfernt.